Alles in diesem Frühstücksraum sieht so aus, wie sich ein an Geschichte interessierter Mensch das Leben Ende des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten vorstellen mag. Die Kleidung ist züchtig, elegant bis konservativ, doch die Manieren hinken der Kleidung oftmals hinterher. So weiß sich die durch einen Betrunkenen angerempelte Dame mit einem Judowurf gegen den Rüpel erfolgreich zur Wehr zu setzen. – Moment! Judo im Wilden Westen? Für Bob und seinen Kumpel Bill ist in diesem Augenblick nur eines klar. Diese Frau ist Sophia Paramount. Obwohl jemand versucht, die Persönlichkeiten aller Anwesenden zu unterdrücken und mit neuen Charakteren zu überlagern, scheint es immer noch erlernte Fähigkeiten zu geben, die in der Not rein instinktiv hervorbrechen.
Leider nutzt den beiden Freunden dieses Wissen nur wenig. Bald stecken sie wieder bis zum Hals in einem Abenteuer, das diesmal ihr letztes werden könnte. Kugel fliegen, Hypnose, Verfolgungsjagden, Giftpfeile, Indianer …
Haben sich Bob und Bill verschätzt? Ist dies das Ende?
Angst und Nebel ist eine passende Überschrift für die hier versammelten Grusel-Abenteuer von Bob Morane. In klassischer Manier der 60er und 70er Jahre schickt Henri Vernes seinen Helden in die Vergangenheit, auf eine geheimnisvolle Insel und verschafft ihm eine Begegnung mit Geistern. Ausführender Zeichner ist in diesen drei Episoden William Vance, dem das Besondere der Episoden sichtlich Spaß gemacht zu haben scheint.
Ausgerechnet ein altmodisches Kinderkarussell bringt Bob Morane und seinen Kumpel Bill Ballantine in die Vergangenheit. Nach einer rasenden Fahrt befinden sich die Freunde in Nowhere City im Jahre 1882. Ein Hauch von Wilder Westen liegt noch in der Luft. Das funktioniert optisch, wie auch in der Erzählung von Vernes. Denn ebenso wie seine beiden Helden zunächst zweifeln, ob sie nicht doch in der Vergangenheit angelangt sind, zweifelt der Leser nach einer Kette von Indizien mit.
In einer Reihe von Kontrahenten stehen Bob und Bill nun Doctor Xathan gegenüber. Im Gegensatz zum Gelben Schatten ist des Doctors Vorgehensweise etwas feiner, gewiefter, umso überraschter mag der Leser von der kindlichen Freude des psychopathischen Wissenschaftlers sein, die über den üblichen Freudeswahn eines Superverbrechers hinausgeht.
Viel phantastischer und noch unheimlicher geht es in der Episode Das Archipel der Angst zu, die besonders Freunden der Literatur von Jules Verne gefallen dürfte. Wer außerdem Spaß an futuristischen und unheimlichen Szenarien der 70er Jahre hat, für den ist diese Geschichte ein Spaß. Ein wenig fühlt man sich an Luc Orient und seine riesigen Killersporen erinnert. Hier sind es jedoch mannsgroße rote Gummibälle, hinzu kommen insektoide Roboter, Riesenkraben und unerklärliche Anziehungskräfte.
Henri Vernes schildert die Ereignisse auf der Insel mit einer Genüsslichkeit, die äußerst selten ist. Gleichzeitig schaut es so aus, als wolle er das phantastische Genre, vielleicht sogar seine eigens geschaffene Figur Bob Morane selber ein wenig verulken.
Die großen angreifenden roten Bälle werden von Bob mittels einer sehr kleinen und für den Leser unerwarteten Waffe in die Flucht geschlagen. Auch spätere Kämpfe und Kinderkrankheiten dieser Angriffsmaschinen lassen den Leser zuerst staunen, dann schmunzeln.
Diese Episode lässt sich unter das Motto stellen: Genieße das Abenteuer. Es ist nicht vorhersagbar, was passieren wird. Wie einst Hugo Pratt lässt sich Vernes mit seiner Phantasie treiben, macht seinen Helden das Leben so schwer wie möglich und bugsiert sie mit ungewöhnlichen Maßnahmen wieder aus dem Schlamassel heraus – und gleich wieder hinein in die nächste Bredouille.
Was könnte gruseliger sein als der Nebel von London? Schon Edgar Wallace wusste mit diesem Element zu spielen. Die Augen im Nebel, Titel der dritten Episode, bezeichnen vermummte dahinschwebende Männer, der Augen blitzende und todbringende Strahlen verschießen können.
Henri Vernes holt eine alte Bekannte von Bob Morane auf die Bühne zurück. Von merkwürdigen, aber überaus trickreichen Attacken getrieben, suchen Bob, Bill und ihre Schutzbefohlene Ruth die Lösung auf einer einsamen Insel. Aber auch hier sind sie nicht in Sicherheit.
Wie auch, denn William Vance überschlägt sich hier geradezu mit seinen action-lastigen Bildern, in denen wirklich alles zu finden ist, was in Thrillern, phantastischen Geschichten und Gruselabenteuern vonnöten ist. Gekonnt mischt sich phantastische Ausstattung mit real existierenden Umgebungen und Fahrzeugen. Die männlichen Bösewichter sind nicht nur besonders fies, sie schauen auch so. Böse Frauen sind besonders schön. Wenn sie eine Waffe auf Bob Morane richten, dann mit einem gemeinen Lächeln. Mittendrin, statt nur dabei, dieser kleine Spruch beschreibt die Bildtechnik von Vance auf den Punkt. Man blickt seinen Protagonisten über die Schulter, versperrt ihnen den Weg oder steht mitten in den Flammen. Der Zusammenhang der Bilder, die Kameraführung, ist hier viel stärker ausgeprägt, als es in manch neueren Produktionen der Fall ist.
Unheimliche Episoden aus dem Leben Bob Moranes. Wer eine große Portion Grusel und Phantastik in Abenteuern mag, der liegt mit diesen Abenteuern genau richtig. Dank William Vance, einem altmeisterlichen Zeichner des Comics, passt die Stimmung auf das I-Tüpfelchen genau.
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