Sie waren zu jung, ein Auto zu fahren, aber alt genug, einen Bomber zu fliegen. – Wer glaubt, in den Bombern beiderseitig des Kanals saßen immer nur alte erfahrene Piloten, der sieht sich gewaltig getäuscht. Marvano hat sich des Themas angenommen und eine Geschichte rund um ein solches Bomber-Team geschrieben und gezeichnet.
Marvano, mit bürgerlichem Namen Mark van Oppen, bewies bereits mit der Science Fiction Roman-Umsetzung von Joe Haldeman, dass er das Zeug für realistisch anmutende Szenarien hat. Nach einem zukünftigen Krieg setzt er sich nun mit der Vergangenheit auseinander.
Die sieben Zwerge sind die Flugzeugmannschaft eines Bombers, dem sie selber den Namen S-Snowwhite (Schneewittchen) gegeben haben. Die Geschichte beginnt mit einem Angriffsflug über Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Das Ziel ist das Ruhrgebiet. Die Szene ist für die jungen Männer an Bord unwirklich. Die Nacht wird von der deutschen Flugabwehr sporadisch erleuchtet, als der Lancaster-Bomber acht Tonnen seiner tödlichen Fracht aus seinen Abwurfschächten entlässt. Sie wissen nicht, was sie da unten töten oder zerstören, sie sehen lediglich das Flammenmeer nach dem Aufprall ihrer Bomben. Ein Cowboy-Schrei der Freude überlagert die Szene und entlädt die Erleichterung darüber, dass dieser Angriff vorüber ist. Nun kann der Heimflug angetreten werden.
Doch vor einer glücklichen Landung muss das englische Geschwader erst an den deutschen Nachtjägern vorbei.
Man fühlt sich als Leser ein wenig an den Film Memphis Belle erinnert, der ebenfalls die Geschichte einer, allerdings amerikanischen, Bomber-Crew beschreibt. Hier wie dort ist es der Wahnsinn über den Wolken, der sich mit rein menschlichen Aspekten ablöst. Hier ist die Freiheit über den Wolken nicht grenzenlos, sondern ihr wurde die Freiheit genommen, das Wahrhaftige, das Besondere, kurz, sie wurde missbraucht.
Für diese Männer spielt der Krieg eine Rolle, weil sie sich in ihm befinden, nicht, weil sie ihn gewollt haben. Sie zählen die Einsätze, die hinter ihnen liegen und fürchten die, die vor ihnen liegen. 17 haben sie absolviert, 30 müssen sie fliegen. Der Durchschnitt liegt bei 11. Und ein jeder fürchtet ein Ziel: Berlin. Der Anflugkorridor ist eng. Eine Kollision mit einer befreundeten Maschine ist wahrscheinlicher, als von der gegnerischen Flugabwehr oder einer Abfangmaschine getroffen zu werden.
Kein einziges Mal geht es um Politik, oder darum, den Feind zu vernichten. Es geht nur darum, zu gewinnen, damit man nach Hause kann.
Was hast du gegen Idealismus, Aubie? Zum Teufel, ich sterbe lieber für die gute Sache, für ein Ideal.
Ich ziehe es vor, überhaupt nicht zu sterben.
Wie dieses Ideal aussehen mag, bleibt offen. Ideale taugen aber auch nicht dazu, einen Zauber auszuüben, den Mut und die Hoffnung zu schüren. Rituale sind da schon geeigneter. Die Mannschaft der Snowwhite hat es sich angewöhnt, vor jedem Flug gemeinsam auf das Hinterrad ihres Bombers zu urinieren. Wenn man schon angepisst ist, dann kann man es auch selber machen.
Nicht zu früh die Bomben ausklinken, sonst treffen sie Brüssel und nicht Berlin. Und aufpassen, wohin man wirft. Am Ende fliegt die eigenen Leute unter einem und man trifft sie mit den Bomben, die eigentlich für die Deutschen gedacht waren.
Marvano trifft auf jeder Seite mit seinen nüchternen Zeichnungen und seinen Texten die Atmosphäre der Szenerie. Er lässt aus der Sicht eines Piloten erzählen, der um Kühle und Sachlichkeit bemüht ist, aber den Schrecken aus seiner Stimme nicht ganz verbannen kann.
Schließlich lässt Marvano alte Musik spielen, verzichtet auf Erzählung, lässt nur die Bilder sprechen. Mehr braucht es auch nicht. Um Haaresbreite dem Tod entgangen, steigen sie bald wieder auf.
Das Ende muss nicht gezeigt werden. Nach all den Erlebnissen kann sich der Leser ausmalen, dass in einer dieser Situationen das Glück einen anderen Bomber auswählte. Die sieben Zwerge kommen nicht mehr zurück.
Ohne Pathos, beinahe sachlich, berichtet Marvano über das Schicksal dieser Bomber-Crew, die nicht richtig gelebt hatten, als Beispiel für viele andere, die nicht überlebten. Es ist ein Blickwinkel der Sinnlosigkeit all dessen, was sich in einem Krieg abspielt, ohne Tränen erzählt, dafür aber umso trauriger.
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