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Comic Blog


Mittwoch, 09. Januar 2008

Gregory – Obenei

Filed under: Cartoon — Michael um 22:41

Gregory - ObeneiDer Mann ist nicht verrückt! So beteuert er es jedenfalls. Mr. Terwilliger ist der Auffassung, dass er anders ist als die anderen Bekloppten. Je mehr er sich aufregt, desto mehr redet sich um Kopf und Kragen. Normalität und Fassungslosigkeit vertragen sich nicht und taugen auch nicht dazu, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass man normal ist. Gregory ist das alles völlig egal. Wer eine Ratte in der Hose spazieren trägt, sieht die Welt mit ganz anderen Augen.

Gregory ist wieder da!
Der kleine Gregory, wieder von Marc Hempel geschrieben und in Szene gesetzt, präsentiert sich in seinen Geschichten ausgereifter, besser konzeptioniert, mit sehr geschärftem Blick, kritischer. Kurzum, Gregory hält dem Leser nicht nur den Spiegel vor, er knallt einem das eigene Spiegelbild praktisch um die Ohren.

2150 ist bereits alles anders. Gregory ist geheilt – doch die Schale über einem zwiespältigen Ego ist äußerst dünn. Das zeigt sich sehr bald. Der für jeden verständlich sprechende und agierende Gregory gleitet in die Untiefen des Verstandes ab. Gregory sieht und hört, was um ihn herum vor sich geht, seine Auffassungsgabe ist allerdings weit von der anderer vernunftbegabter Wesen entfernt. Gregory bemerkt seine Umwelt regelrecht, er sieht, hört und fühlt das, was für andere (in diesem Falle uns) längst selbstverständlich ist. Derart betrachtet bietet Marc Hempel sogar einen kleinen philosophischen Ansatz.
Das Einfache, das Offensichtliche, direkt an der Oberfläche, ohne langes Suchen zu finden, ist manchmal für mehr als ein Staunen gut.

Ein gutes Beispiel ist Gregorys Ausflug in die Freiheit, an die frische Luft. War eben noch alles Grau in Grau (schwarzweiß), ist die richtige Welt bunt, knuffig bunt. Aber nicht für lange. Schnell wandelt sich diese Welt eines kurzen Weges durch eine Grünanlage in ein graues, steinernes Monster, das förmlich auf Gregory hernieder zu stürzen scheint.
Bildsprache ist alles.
Marc Hempel verlässt sich in vielen Situationen und Sequenzen vollkommen zu recht auf Bilder ohne Worte. Die Aussage ist für jeden verständlich und vielleicht auf diese Art noch eindringlicher. Bei allem Humor und beißendem Witz ist Gregory in seiner Gesamtheit beeindruckend. – Es lässt sich nicht sagen, ob Marc Hempel einen gewissen Hang zu Woody Allen-Humor hat. Irgendwie sind sie sich jedoch ähnlich. So wie Allen über New York und Beziehungen seine Scherze treibt, so amüsiert sich Hempel über das Leben im Allgemeinen.

Im vorliegenden Band geschieht etwas, mit dem eigentlich niemand rechnen konnte. Gregory findet eine Adoptivfamilie.
Damit ist der Startschuss gefällt für eine sehr ungewöhnliche Familienintegration. Wie sehr solch eine Situation auf das Gemüt drücken kann und andererseits vor Humor nur so strotzen, hat bereits ein Film wie Rain Man bewiesen. Sicherlich geht Gregory andere Wege und kann nicht mit Verhalten, gesprochenen Worten und Gesichtsausrücken arbeiten, wie es der Film kann, doch Hempel hat seine eigenen Methoden gefunden, um den Wahnwitz dieser Situation zu beschreiben.

Der Vater ist ein vor Muskeln strotzender Mann, dessen Gesicht man niemals zu Gesicht bekommt. Die Männlichkeit ist sein Thema. Der eigene Sohn kann die Hoffnung dieses urwüchsigen Mannes auf Holzfäller-Niveau nicht befriedigen – der Junge ist ganz einfach nicht tough genug. Deshalb setzt der Vater gegen jede realistische Chance eine gewisse Zeit seine Hoffnungen auf Gregory. Natürlich ohne Erfolg.
Die Mutter gibt sich alle Mühe. Sie ist warmherzig, liebevoll, doch letztlich muss auch sie an Gregory scheitern. Sie sind nicht sehr verschieden, aber allein durch ihre Ausdrucksfähigkeit scheint es, als komme jede der beiden Seiten von einem anderen Stern.
Bleibt nur noch der Sohn, der Fettbacke – so der Titel der Episode. Er ist der einzige, der wirklich von diesem Zwischenspiel profitiert. Er wächst daran, entwickelt sich fort und fasst Mut, erntet schließlich sogar Anerkennung durch den Vater.
(Die kleine Schwester und das Baby sind eher zweitrangig in dieser Erzählung, Statisten eben.)

Nur Gregory bleibt auf seine Art für alle Beteiligten ein Rätsel, denn Obenei, was soll das sein?
Dabei liegt die Lösung so nah!

Bei all dem mag so mancher den Zeigefinger heben und schimpfen, dass es nicht witzig sein kann, mit den Schwächen geistig benachteiligter Menschen Späße zu treiben. Wie respektvoll und menschlich dies zu bewerkstelligen ist, hat schon Einer flog über das Kuckucksnest gezeigt.
Auch Marc Hempel zollt seiner Hauptfigur den notwendigen Respekt. Er macht sich nicht über ihn lustig, sondern nutzt ihn, damit der Aberwitz der normalen Welt deutlich wird. Wenn Gregory lacht, lacht man als Leser mit ihm, wenn er sich fürchtet, fürchtet man mit und um ihn.

Ich wünschte mir nur, dass Gregory eine Familie hätte, die ihn lieb hat …
So der abschließende Wunsch von Gregorys ehemaliger Adoptivmutter. Wenn sie wüsste! Längst hat er so etwas wie eine Familie um sich herum, solche, die sich um ihn sorgen, die ihm eine Freude bereiten. Solche, die ihn sogar verstehen – und die es nicht schlimm finden, wenn das mal nicht der Fall ist.

Gregory ist nicht nur Humor und Wahnwitz, man könnte es sogar ein Comic-Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Mut zum Verständnis des Anderen nennen. Liebevoll und einfühlsam umgesetzt von Marc Hempel, der hier nicht nur sein erzählerisches Talent, sondern auch sein enormes humoristisches Potential unter Beweis stellt.

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