Eine Reiterin bahnt sich ihren Weg auf einem Einhorn durch die Belagerer. Kurz bevor sie das rettende Tor erreichen kann, wird das Tier unter ihr durch einen Pfeil niedergestreckt. Ohne Hoffnung bleibt die Reiterin am Boden liegen.
In der Welt von Fables ist alles möglich! Das ist das Besondere an der Serie. Vermutlich ist nicht jeder amerikanische Leser mit den ursprünglichen Märchen und Mythen vertraut und orientiert sich eher an den geschichtlichen Versionen von Disney, das ändert jedoch nichts an der Originalität dieses Handlungsstrangs.
Nachdem wir in den ersten Folgen erfahren durften, wie sich die Fables, die Exilanten aus dem Märchenreich, in der wirklichen Welt schlagen, lernen wir nun in einem Rückblick, einer Erinnerung, wie es zum Exodus aus dem vermeintlichen Paradies kam. Besonders an diesem Ereignis wird deutlich, wie arg die Begebenheiten und die Figuren gemischt werden. Die gegnerischen Unholde, Monster und andere Kreaturen rennen gegen Die letzte Festung an, das letzte Bollwerk zum Schutz des Übergangs in die andere Welt.
Autor Bill Willingham hat auf den Festungsmauern so ziemlich alles versammelt, was Rang und Namen in Märchen und Mythen hat. So mag es nicht verwundern auch Robin Hood und Bruder Tuck dort oben anzutreffen. Blaubart, Rotkäppchen und die Kuh, die über den Mond springt, alle treffen sich im weiten Festungsrund und in den großen Hallen.
Während die Kuh den Schlachter noch warnt, ihr nicht zu Leibe zu Rücken, ist Blue Boy an der Seite von Red Riding Hood und wacht über sie. Das Rotkäppchen konnte im letzten Moment vor den Verfolgern in die Festung fliehen – ein Umstand, der später noch von großem Interesse sein wird.
Der erste Teil der Handlung, der Fall der letzten Festung, so tragisch und traurig er in Szene gesetzt sein mag, ist nur das Intro zu einer viel größeren Geschichte, die gleich zwei Welten einschließt, die imaginäre wie auch die wirkliche.
Hier beweist Willingham, wie elegant er einen Bogen schlagen kann. Der Aufmarsch der Holzsoldaten ist ein geschickt aufgebautes Szenario, in dem mit den Erwartungen des Lesers und völlig unerwarteten Überraschungen gespielt wird. Die Holzsoldaten erscheinen hier wie die Men in Black, jedenfalls stellt Jack Horner diesen Vergleich an, als er eine Begegnung mit diesen seltsamen Burschen hat. Wer das Verhalten dieser Männer begutachtet, könnte aber ebenso einen Vergleich zu Agent Smith herstellen. – Und wie man es von Matrix her gewohnt ist, tritt hier eine Figur gleich mehrmals auf und ist ähnlich humorlos.
Und genau zu dem Zeitpunkt, als es für die Fables wieder einigermaßen gut zu laufen scheint (aber wirklich nur einigermaßen), taucht eine alte Bekannte wieder auf: Red Riding Hood. Die Freude ist groß. Sie ist seit langer Zeit die erste Fable, der die Flucht aus dem alten Reich gelungen ist. Seltsam genug, denn man glaubte die Tore fest verschlossen und in Feindeshand.
Willingham zeigt diese Begebenheit in Hauptsache durch die Augen und Nachforschungen von Bigby Wolf, der menschlichen Inkarnation des großen bösen Wolfs (von einigen Ausnahmen einmal abgesehen, denn Bigby kann sich nicht immer in seiner menschlichen Form halten. Als Sheriff ist er jedenfalls genau richtig. Bigby ist jene Art von Detektiv, die sich schon ein Dashiell Hammett oder Raymond Chandler ausdachten. Knurrig, ewig mißtrauisch, vom Leben (und von Ausschweifungen) gezeichnet, Kettenraucher, das ist die Sorte Detektiv, mit denen ein Leser mitfiebern kann. Denn Bigby verfügt über diesen (sehr tief) verborgenen Kern, den Funken Sympathie, der ihn sehr menschlich macht, menschlicher als jemanden wie Prince Charming, der nur auf seinen Vorteil bedacht ist. – Und außerdem erinnert Bigby irgendwie an Wolverine, den Superhelden, der eigentlich auch nichts anderes als ein geläuteter böser Wolf ist.
Zeichner P. Craig Russell begegnete der Leser unlängst in der fünften Ausgabe von Conan. Hier stellt er die Rahmenhandlung zu Blue Boys Erinnerungen. Dieser kleine Trick von verschiedenen Handlungsebenen, die durch unterschiedliche Zeichner erstellt werden, funktioniert immer wieder. Die optische Trennung der einzelnen Erzählbestandteile verschafft der Geschichte einen größeren Raum. Das Auge muss sich neu einstellen, neu die Fährte aufnehmen. Hier im speziellen Fall wird der Rückblick phantastischer, märchenhafter – haben sich doch die Fables in der wirklichen Welt sehr gut eingelebt.
Besonders deutlich wird dieser letzte Aspekt am Wahlkampf von Prince Charming, der gerne den Bürgermeister ablösen möchte.
Eine sehr mitreißende Geschichte über den Untergang der Welt der Fables und ein neu aufziehendes Fiasko, ausgelöst durch eine potentielle Spionin. Bill Willingham versteht sich auf die Erzählkunst, spielt mit bekannten Elementen, mischt sie nach Belieben und lässt bekannte Figuren auch gegen den Strich agieren. Gleich drei Zeichner erster Güte machen aus der vierten Episode ein märchenhaft gutes Leseerlebnis. 🙂
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