Freitag, 18. Januar 2013
Heirat? Allein das Wort könnte Begeisterung in Marie auslösen, wenn es denn der richtige Mann wäre. Aber dieser Metzger, obwohl zum gräflichen Mundschenk aufgestiegen, passt nicht in Maries Konzept. Doch es ist nicht die Zeit, in der unverheiratete junge Frauen sich ihren Gatten immer selbst aussuchen dürfen. Wir schreiben das Jahr 1764. Marie gibt dem Drängen des Mannes nach. Monsieur Aubry ist ein Mann seiner Zeit, seines Standes vielleicht auch. Er hat gelernt, wie Ehefrauen zu sein haben. Gefolgsam. Verstehen sie sich dann noch auf Nützliches, Schreiben und Rechnen, können somit im Geschäft aushelfen, ist es gut. Sind sie fruchtbar, verstehen sich auf Fertigkeiten, die eine Frau lieber im Verborgenen ausübt, ist es besser. Monsieur Aubrys Worte. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Marie wird in Schwierigkeiten geraten.
Manchmal gibt es Geschichten und Biographien, die einem erst einmal wieder aufzeigen müssen, wie hart erkämpft das Selbstverständliche in unserer Zeit zuweilen ist. Oder noch nicht selbstverständlich ist. Oder nicht überall. Die beiden Comic-Macher Jose-Louis Bocquet (Autor) und Catel Muller (Zeichnerin) haben sich in diesem sehr ambitionierten Projekt einmal mehr zusammengefunden, um die Geschichte einer Frau zu erzählen, die teilweise eine Lebensart vormachte, um die es heute in der westlich dominierten Welt kaum noch oder immer weniger Diskussionen gibt.
Die Frau ist frei geboren heißt es in der Überschrift. Gleichberechtigung würde es noch mehr auf den Punkt bringen. Doch in jenen Tagen, als Olympe de Gouges noch unter anderem Namen geboren wurde und aufwuchs, nämlich, war selbst die Freiheit einer Frau, die Selbstbestimmung, ein selten anzutreffendes Gut. Auf über 460 Seiten, inklusive vieler Zusatzinformationen zur Historie und historischen Figuren, breitet sich ein Land im Umbruch aus. Im Jahre 1748 wird die kleine Marie Gouze geboren, ein uneheliches Kind der Liebe, wächst heran in unterschiedlichen Umgebungen und erhält so sehr verschiedene Blickwinkel auf das Leben, die ihr sehr bald verdeutlichen, was sie nicht vom Leben will.
Marie kommt in dieser sehr leicht erzählten Biographie früh mit dem Adel in Form des Vaters in Berührung, der naiv in den Tag hinein lebt. Das bürgerliche Leben bleibt ihr infolge der Verheiratung ihrer Mutter wie auch ihres eigenen späteren Lebens ebenfalls nicht fremd. Erst als sie ihre Gegenwart selbst in die Hand nimmt, sich aus der männlichen Verantwortung heraus zieht, kommt Bewegung in ihr Leben. Die Probleme werden aber nicht geringer. Denn Olympe de Gouges, wie sie sich im Laufe ihrer schriftstellerischen Karriere nennt, legt sich mit Mut mit vielerlei Menschen etablierter Kreise an. Sie stellt ihre eigene Meinung über das leibliche Wohl und gerät zusehends in Gefahr. Dieses selbstbestimmte Leben, vor niemandem zu Kreuze kriechen zu wollen, endet 1793 auf dem Schafott.
Jose-Louis Bocquet und Catel Muller beschreiben in scheinbar unzähligen Begebenheiten die Entwicklung einer Frau, heraus aus dem Bürgertum, allgemein hin zu einem Menschen, der mit Nachdruck nicht nur eine eigene Meinung vertritt, sondern auch Thesen entwickelt, damit an die Öffentlichkeit tritt und bittere Niederlagen einstecken muss. Das Theater wird Olympes Sprachrohr, ein hart erkämpftes Feld, auf dem das Publikum gnadenlos jubelt oder verreißt. In schwarzweißen Bildern, in leicht naiver künstlerischer Anmut, entsteht ein Ausschnitt auf eine Zeit, die geradewegs auf den Sturz einer Gesellschaftsordnung zustrebt. Mit der Hinrichtung des König geschieht das Unfassbare. Von da an ist alles möglich und niemand mehr sicher.
Obwohl Olympe de Gouges dies vor Augen gehabt haben muss, schweigt sie nicht, bricht das freche und sympathische Mundwerk immer durch. Doch am Ende hilft auch ein halbwegs juristischer Winkelzug nicht mehr. Der Prozess ist im wahrsten Sinne des Wortes kurz. Die Biographie, so harmlos sie beginnt, reißt bald mit, nicht zuletzt der Dichte der Erzählung wegen und ist auch sicherlich der Wahrhaftigkeit der Charaktere geschuldet.
Ein Leben in einer bewegenden Zeit, ein aufrechte Frau, für ihre eigene Meinung eintrat und auch wusste, was sie riskierte. Liebe, Humor, Drama, originell nacherzählt von Joes-Louis Bocquet und Catel Muller. Nicht nur für Freunde von Gesellschaftsgeschichte. 🙂
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Sonntag, 18. November 2012
Von einem neugierigen Huhn geweckt stapft der alte Mann aus seiner Hütte, beginnt den Tag in aller Seelenruhe und fährt anschließend mit dem Boot auf das Meer hinaus. Das Leben ist einfach. Auch für den kleinen Naim ist das Leben eigentlich mehr eine Abfolge von Tagen. Leben, beobachten, erleben, Freundschaft und Liebe erfahrend hatte er bisher auch das Glück und große Geschick, sich vor der Schule drücken zu können. Sein Bruder ist zwar ständig und hartnäckig hinter ihm her, um dem Kleinen die Flausen auszutreiben, aber Naim ist dem großen Bruder doch immer eine Nasenlänge voraus. Meistens wenigstens.
Eine Kindheit in Kenia, so lautet der Untertitel des ersten Teils der Erzählung von Benjamin Flao und wie anders ist diese Kindheit als solche von Kindern auf dem europäischen Kontinent. Es mag kaum fassbar erscheinen, dass diese Geschichte auf dem selben Planeten stattfindet. Bei aller Berichterstattung, dem Internet und sonstigen Quellen führt ausgerechnet ein Comic sehr einfühlsam und auch mit einer gewissen erzählerischen Gelassenheit vor Augen, wie Kindheit auch sein kann. Naim, der Held dieser Geschichte, ist elf Jahre alt und sollte eigentlich eine Koranschule besuchen, ginge es nach seinem Bruder Hassan. Aber Naim will nicht.
Lieber treibt er sich in den Straßen herum, wo er von den Lehrern nicht malträtiert wird und die Leute beobachten kann. Manchmal kann er sogar ein wenig Geld verdienen. Dieser Teil der Welt, der auch Weiße aus dem Westen anlockt, um irgendwelche Ferienparadiese und Urlaubsorte zu schaffen, ist weitaus weniger zielstrebig. Die Menschen schauen häufig, was passiert. Und oft passiert nichts. Am Beispiel eines fremden Frachterkapitäns, der von der Willkür der ortsansässigen Behörden abhängig ist, wird deutlich, wie schnell sich ein Mensch an diese Langsamkeit gewöhnen kann.
Benjamin Flao einen Gerichtszeichner zu nennen, wäre nicht ganz richtig, wahr ist jedoch, dass er einen journalistischen Blick auf das Geschehen richtet, der viele zarte Begebenheiten von Nähe herausfindet. Benjamin Flao ordnet um Naim weitere Charaktere an, Freunde, Verwandte, aber auch zunächst Fremde, die sich im weiteren Verlauf als wichtig herausstellen und einen urtümlichen Blick auf dieses Land, diese Gegend richten, die sich an einer Schwelle zu etwas befindet, das noch nicht sichtbar oder vorhersehbar ist. In diesem Schwebezustand, den Bollywood bereits erreicht hat, verabschiedet sich die alte Welt stückchenweise, in Form eines heiligen Baumes.
Die Bilder sind schnell skizziert, wie unter Zeitdruck, Momentaufnahmen am Tage, von schöner Heiterkeit. Mit zunehmender Dunkelheit wird es bedrückender, auch geheimnisvoller, denn das Bekannte, die wie Imitationen scheinenden Kneipen, Kinos, auch Häuser wird unechter, als Naim in ein Abenteuer hineinrutscht, mit dem selbst er, der hier aufwächst, kaum etwas anfangen kann. Schnelle schwarze Striche, kräftige Aquarellfarben, immer mit dem passenden Grundton des jeweiligen Objekts eingefangen und kaum abschattiert, schaffen ein traumartiges Gesamtbild dieses Landstrichs.
Der kenianische Blickwinkel auf die Weißen, die als Unternehmer und Touristen einfliegen, fällt unterschiedlich aus. Während Naim diese Menschen belächelt, die überall Fotos machen und sich eincremen, sind jene Menschen, die sich prostituieren und auf diese Weise von den Fremden leben, viel abgeklärter und desillusioniert. Entsprechend karikiert fallen die Weißen auch aus und wirken wie Fremdkörper mit imaginären Kronen auf dem Kopf (jedenfalls ließe sich annehmen, dort wären welche, verfolgt man ihre Verhaltensweise).
Ein beeindruckender Comic-Band, sehr leicht erzählt, journalistisch, manchmal verstohlen beobachtet, doch immer mit Sympathie. Schnell und treffsicher illustriert, farbenfroh, wie unter kenianischer Sonne, live vor Ort skizziert. Sehr schön. 🙂
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Oder bei Schreiber und Leser.
Dienstag, 13. November 2012
Lulu ist eine ganz normale Frau. Sie hat drei Kinder, einen Ehemann. Zwei Kinder sind noch kleiner, die Tochter ist bereits 16, an der Schwelle zum Erwachsensein. Der Ehemann ist vermutlich so, wie Lulu sich einen Ehemann vorgestellt hat. Wie ein Ehemann eben ist. Ungeduldig zuweilen, mit einer langweiligen Arbeitsstelle und dem Drang, ab und zu die Langeweile mit etwas Alkohol zu betäuben. Und letztlich ist Lulus Leben wie betäubt, fremdgesteuert, nicht inhaltsleer, aber nicht ganz das ihre, so scheint es. Eines Tages geht Lulu einfach. Nachdem ein Vorstellungsgespräch eher zu einer Welle leiser Vorwürfe wurde, kehrt sie nicht nach Hause zurück.
Mit vierzig Jahren, um diesen Dreh herum, findet manchmal ein Wandel statt. Es tauchen, wahrscheinlich nicht zum ersten Mal, dafür umso drängender, die Fragen nach einer Bestandsaufnahme auf. Die Jugend ist vorüber. Was kommt jetzt noch? Wie viel Zeit ist noch übrig? Was wurde verpasst? Was stellt man mit dem verbliebenen Rest an, so lange die körperliche Befindlichkeit noch mitspielt? Etienne Davodeau gehört zu jenen Autoren, nicht unbedingt nur Comic-Autoren, die sich einem solchen Thema mit dem richtigen Ton nähern können, mit Verständnis, ein wenig Güte in der Erzählung, zwischen den Zeilen lächelnd, jener bewundernswerten französischen Melancholie.
Lulu scheint vieles mit den Jahren verlernt zu haben. Die uneingeschränkte Freude, Liebe in ihrer verspielten Form, den Genuss von Ruhe eingeschlossen. Lulus Freunde stehen vor diesem Verschwinden sehr ratlos. Man verschwindet nicht einfach aus dem Alltag. Etienne Davodeau zeichnet schnörkellos, ungeschönt ganz normale Menschen, keine Modelle, beobachtend. Man kann Lulu als Leser im Verlauf bemitleiden, ihre Gefühle nachvollziehen, so, wie es sogar einem engen Freund und gar der eigenen Tochter gelingt. Tage sind es nur, die Lulu benötigt, um zu einigen Kernfragen des Lebens Antworten zu finden. Es sind durchaus ganz persönliche Fragen, zu denen jeder seine eigenen Antworten findet, aber jeder innerhalb der Geschichte begreift diesen Prozess, früher oder später. Sogar der gehörnte Ehemann.
Die Geschichte besticht durch ihre Zufallsbegegnungen. Lulu lässt sich treiben. Zunächst noch mit Geld, später ohne. Lulu verändert sich zunächst, erfährt Verständnis und muss bitter lernen, dass eine Erfahrung nicht eins zu eins übertragbar ist. Der Leser lernt Lulus Ausbruch aus zwei Sichtweisen kennen, aus ihrer eigenen und jener ihrer Verwandten und Freunde, die sich ehrliche Sorgen um sie machen. In sehr leichten Farben zeichnet und malt Etienne Davodeau Charakterköpfe, gewöhnliche Städte, vertrautes Umfeld innerhalb europäischer Maßstäbe, einzig das Meer sticht als Ruhepol, als eine Art meditativer Anziehungspunkt heraus.
Der Wendepunkt erfolgt mit einem missglückten Diebstahl. Lulu weiß sich nicht anders zu helfen. Um zu Geld zu kommen, will sie stehlen. Sie dachte, sie könnte es, da sie glaubt, diesen Punkt erreicht zu haben, doch sie ist letztlich nicht bereit dazu. Und sie gerät an Marthe, eine sehr alte Frau, knurrisch, mitfühlend und es entsteht eine kurze, intensive Freundschaft. Etienne Davodeau zeichnet einfache Gesichter, in denen viel Ausdruck liegt, einfache Gesten, die jeder versteht und die keine Worte brauchen.
Im frankophonen Raum schaffen Autoren immer aufs Neue diese Leichtigkeit in Erzählungen mit sehr menschlichen Themen, mit einem Schuss Melancholie, einer Prise feinen Humors, viel Mitmenschlichkeit. Am Ende steht das versöhnende Ende, kein Wegweiser, aber ein Aufatmen und ein Mitfreuen. Sehr schön. Für Freunde echter Comic-Themen absolut empfehlenswert. 🙂
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Mittwoch, 03. Oktober 2012
Sophie Scholl riskiert alles. An der Universität fällt sie durch ihre Bemerkungen auf. Mit Freunden entwirft sie Flugblätter. Parolen an Häuserwänden sollen aufrütteln. Als Nikolaus Wedekind ihr noch bei den Vorbereitungen hilft, sind seine Gedanken trotzdem schon auf die nächsten Flugstunden gerichtet. Wedekind soll die Me 262 in die Luft bringen, ein Jagdflugzeug, das dank seines Düsenantriebs 150 Stundenkilometer schneller ist als alles, was die Alliierten im Luftkampf aufbieten können. Bald jedoch blickt Wedekind dem Teufel ins Gesicht, da er die Lage vollkommen unterschätzt hat. Als Sophie Scholl auf ihre Hinrichtung wartet, weiß er sich in seiner Verzweiflung nicht mehr zu helfen.
Der Himmel liegt grenzübergreifend in Trümmern. Jene, die den Krieg fortsetzen, haben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Und Satan ist selbst nach der Erkenntnis des jeweiligen Bündnispartners, einen großen Fehler begangen zu haben, nicht mehr bereit, auf seinen Lohn zu verzichten, denn der Pakt wurde mit Blut besiegelt. Autor Philippe Pinard nimmt den Leser mit in die Endphase des Zweiten Weltkriegs, als die deutsche Luftwaffe mit einem neuen Flugzeugtyp eine Wende im Luftkampf herbeizuführen. Für jene in der Luft und am Boden war nur allzu deutlich, dass es sich dabei um Phantastereien handelte. Philippe Pinard zeigt gerade jene junge Generation, die es wagte sich aufzulehnen. Die einen mehr, die anderen weniger.
Nikolaus Wedekind, an der Universität in München eingeschrieben und ein Kommilitone von Sophie Scholl, ist von der Herrschenden nicht begeistert, aber er ist nicht dazu bereit, denselben Weg einzuschlagen, wie es seine gute Freundin macht. Zwar hilft er ihr, ein Flugblatt zu entwerfen, das die Missstände anprangert, aber weiter geht er nicht. Die Schwierigkeiten im Land sind im allzu bekannt, er wird auch Zeuge solcher Ereignisse, die den Überwachungsstaat vor Augen führen. Auch weiß er um die tatsächliche Kriegslage, die Zange, die von den Alliierten immer enger gezogen wird und die deutsche Armee letztlich einkesselt. Doch den letzten Schritt, die Fahnenflucht, vollbringt er nicht.
Philippe Pinard beschreibt einen jungen Mann, dem die Lage bewusst ist, der aber auch fliegen will. Der Teufel, der, wie auch im zitierten Faust, in der Gestalt eines Hundes (mit dem treffenden Namen Fisto) erscheint, seziert den Untergang Deutschlands, den Weltenbrand, verhöhnt den jungen Wedekind mit rhetorischer Eleganz. Dabei reitet Wedekind im Cockpit der Messerschmitt Me 262 auf der sprichwörtlichen Kanonenkugel, mit eng bemessenen Zeitplan und sensiblem Steuerknüppel.
Olivier Dauger zeichnet die erste Folge des Fünfteilers mit der klassischen klaren Linie. Streng aussehend, keineswegs verspielt, wie die Linie ansonsten wirken mag. Erinnert das Szenario am Boden an Weltkriegsschilderungen wie Die Entdeckung, mit historischen Begebenheiten und Kriegsalltag im Inland, ist das Szenario in der Luft technisch ähnlich versiert wie ein Buck Danny. Vorerst zählt hier nicht der Luftkampf. Die Maschine, die Me 262, dient zu Anfang zu Schulungszwecken, denn leicht macht sie es ihren Piloten nicht. Die klare Linie lässt die Handlung (gerade bei historischen Szenarien) halbdokumentarisch erscheinen. Farblich wird auf eine zumeist einfarbige Kolorierung von Flächen gesetzt. Nur hin und wieder erzeugen wenige Lichter oder Schattierungen etwas mehr Volumen.
Die Dramatik steigert sich bis zum Ende. Und tatsächlich könnte die Geschichte hier schon zu Ende sein, würde Teufel nicht etwas dagegen haben. So wird dem Bösen (wie im Faust) ein Gesicht und eine Stimme gegeben, äußerlich harmlos, aber verschlagen. Philippe Pinard schiebt so noch eine weitere, traumhaftere Ebene in die Handlung ein. Doch ein Verführer, wie im erwähnten Faust, ist Fisto, der Hund, nicht. Hier ist er ein Philosoph der Zerstörung, ein Wissenschaftler der Vernichtung. Ein entsprechendes Licht wirft er auf dieses Wunderwerk der Technik, die Me 262.
Fliegen für das Vaterland wird zu einem Akt des Verrats an den Menschen. Doch die Versuche sich dagegen aufzulehnen sind allzu zaghaft und schlecht geplant. Der Auftakt der Reihe lässt die Hauptfigur an sich selbst verzweifeln, der Himmel liegt im wahrsten Sinne des Wortes in Trümmern. Packend. 🙂
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siehe auch: Die Entdeckung (Link innerhalb des Comicblogs)
Sonntag, 30. September 2012
Die neue Reporterin macht einen leicht vorlauten Eindruck auf die Soldaten, die bereits seit geraumer Zeit ihren Dienst in Afghanistan versehen und wissen, wie der Hase läuft. Wenn das Camp verlassen wird, um Aufträge zu erfüllen, sind Zeitpläne einzuhalten. Nicht unnötig aufhalten, dem Feind keine Zeit geben, einen Angriff zu planen, Truppen heranzuführen oder Nachricht zu geben, wo der Trupp sich gerade befindet. Die Journalistin hingegen ist mit engen Zeitplänen noch nicht so vertraut. Bald schon gibt es die ersten Schwierigkeiten, die geradewegs in höchste Bedrängnis führen. Und so wird aus einer Hilfsaktion eine Flucht.
Deutsche Soldaten befinden sich im Krieg. Aus ziviler deutscher Sicht mag die Situation eine andere sein, für die Soldaten selbst mag das kaum zutreffen, für jene, die sie durch ihr Land patrouillieren sehen, sind hier ebenfalls aktive Soldaten unterwegs. Und die können angegriffen werden. So einfach ist das. Motivationen verschwimmen vor dem Hintergrund von Einsätzen schnell. Wer fährt wann hinaus? Wie schützt man sich? Auf welche verräterischen Anzeichen ist bei möglichen Anschlägen zu achten? Während die Bundeswehrsoldaten im Einsatz sind, sie erneut mit ansehen müssen, wie ein Sarg mit einem ihrer Kameraden darin auf die Heimreise geschickt wird, trainieren andernorts Journalisten den Ernstfall einer Gefangennahme. Doch die Simulation gibt nur einen ungenauen Blick auf die wirklichen Gefahren.
Afghanistan. Ein Land im Kriegszustand und die Deutschen befinden sich mittendrin. Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt. Das Zitat vom damaligen Verteidigungsminister klang merkwürdig und sieht, folgt man der Geschichte in Wave And Smile, aus Sicht der Afghanen auch merkwürdig aus. Autor und Zeichner Arne Jysch beschreibt eine Situation, die historisch betrachtet, stets in komplett oder halb desaströsen Zustand mündeten. Krieg hat noch nie eine kulturelle Kluft überwunden, höchstens zugeschüttet. Wenn die Soldaten Turbinen zur Stromerzeugung an ein Dorf liefern, ist die Stimmung friedfertig, doch der Weg dorthin, selbst aus der Luft (oder gerade) ist höchst gefährlich.
Aus der Ferne fällt es immer noch schwer, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass deutsche Soldaten im Ausland Einsätze tätigen. Ihr Mut ist unbestritten, ihr Einsatz legitimiert, doch so richtig verstanden haben ihn die Soldaten nicht, denn stets liegt eine Art Schleier über den Informationen, den politischen Richtungen, der Arbeit der Soldaten. Wie schwierig es für die Soldaten in dieser Situation ist, sich mit ihrer Arbeit abzufinden, die tödlich enden kann und scheinbar keinerlei Dankbarkeit oder wenigstens Achtung, höchstens Ächtung erfährt, zeigt Wave And Smile in vielen Szenen. Exemplarisch an der Seite einer Journalistin erlebt der Leser den Alltag hautnah und ohne unnötig zugespitzte Dramatik mit.
In relativer Mitte erfährt die Geschichte eine Wende. Die Hauptfigur, Chris, im Range eines Hauptmanns, setzt sich nach Beendigung des Dienstes auf die Spur seines Entführten Kameraden Marco. Ohne Unterstützung von offizieller Seite gerät Chris immer tiefer in Feindesland, bis ihm selbst die Gefangennahme droht.
Klare Formen, realistisch wie von einem Gerichtsreporter oder eben einem Kriegsberichterstatter illustriert, schnörkellos, ohne Übertreibungen, mit lasierenden Farben koloriert, verzichtet Wave And Smile auf Effekthascherei. Grundlegend decken sich die Ansichten mit denen, die der Leser auch als Zuschauer aus diversen Wüstenkriegsszenarien der letzten Jahre kennt, ergänzt durch die Blicke hinter die Kulissen, das Kasernenleben, einsame Einsätze, zu Lande und in der Luft und den Begegnungen mit den Einheimischen, freundlich wie feindlich.
Der Blick auf das Geschehen ist stets neutral, ohne Verklärung einer Seite (es gibt durchaus mehr als zwei). Zwischenmenschlichkeit geht vor Aktion. Heimliches Vorgehen steht über Feuergefechten, die kaum zu gewinnen scheinen. Das ist liest sich echt, so, wie es auch beabsichtigt gewesen und durch die Rechercheangaben nachzuvollziehen ist.
Ein ernsthafter Blick auf ein Kapitel, das trotz ständiger Präsenz in den letzten Jahren immer nur am Rande aufgeschlagen wird (oder die nächste Meldung über einen gefallenen deutschen Soldaten Schlagzeilen macht). Interessant, realistisch, selten in seiner Machart zu gerade diesem Thema. Arne Jysch hat eine Geschichte kreiert, die auch als Roman oder Fernsehfilm funktioniert hätte. 🙂
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Montag, 02. Juli 2012
Ein knallhartes Rennen: die Tour de France. 4500 Kilometer durch Frankreich, über normale Straßen, aber auch solche Wege, die durch ihre Buckelpisten, Schlaglöcher, Schotter und Geröll den Namen Straße nicht einmal verdienen. Die Teilnahme an diesem Rennen kann sogar lebensgefährlich sein. Als das Rennen im Jahr 1903 ins Leben gerufen wird, ahnt noch niemand den Erfolgskurs, den die Tour im Laufe der Jahre nehmen wird. Antoine Fario ist im Juli 1907 bei der Armee. Der Befehl lautet, das Observatorium auf dem Berg mit Baumaterial zu versorgen. Der Aufstieg ist beschwerlich, schult Antoine aber zeitig für seine kommende Aufgabe.
Diese, der des Lastenträgers, übernimmt der vom Radsport infizierte Antoine nur aus einem Grund: genügend Geld zu sparen, um sich ein eigenes Rennrad kaufen zu können, um damit an der Tour de France teilzunehmen. Die Beschwerlichkeiten, die Antoine für dieses Ziel in Kauf nimmt, stellen seine Beharrlichkeit auf die Probe. Selbst als es ihn das Leben kosten könnte, gönnt er sich keine Pause. Im tiefsten Winter, am verschneiten Berg, in dunkler Nacht rettet Antoine sich in höchster Not in eine Hütte. Am nächsten Tag, von Bekannten und Freunden in Sicherheit gebracht, scheint sein Traum niemals mehr in Erfüllung gehen zu können. Doch Antoine kämpft und gibt nicht auf.
LAX ist ein Erzähler, der sich hier mit einem zunächst unscheinbaren Thema befasst, in dem sich jedoch eine immer stärker werdende Dramatik ausbreitet. Ein Mann setzt alles (wirklich alles) daran, seinen Traum wahr zu machen. In einer Zeit, in der sich Ruhm noch über Zeitungen verbreitete, erkämpft sich ein Mann sein Ziel und wird zum Adler ohne Krallen. Bei Betrachtung der Geschichte, der herrlich nostalgischen Bilder, versucht man als Leser natürlich Vergleiche anzustellen. Wie sehr haben Technik, Trainingsmethoden und Sportmedizin eine Sparte des Rennsports nach vorn gebracht und wie groß muss angesichts dieser Verbesserungen (vom Doping einmal abgesehen) die Leistung der Pioniere jenes weltberühmten Rennens geachtet werden?
Es ist eine zunächst einfache Welt, die LAX beschreibt. Im Gebirge sind die Träume klein, sie gipfeln in einer guten Familie, einem beruflichen Auskommen und selten in sportlichen Höchstleistungen. So ist zu Beginn weder für den Leser noch für die Hauptfigur absehbar, wie dieser Antoine Fario einmal über sich hinauswachsen und den Respekt von Radrennkollegen und Franzosen auf sich lenken wird. LAX beschreibt anfangs die Freundschaft zwischen Antoine und dem Astronomen Camille. Camille wird schließlich die brüderliche Stütze sein, die Antoine wieder Mut macht.
So gelingt es LAX eine zutiefst menschliche Geschichte zu erzählen, bis er zu den Leidenschaften und der Mühsal eines Sportlers gelangt, der die Leistung über das leibliche Wohl stellt. Doch ist es gerade diese Einstellung, die die Presse schließlich nach Antoines ersten größeren Erfolgen dazu veranlasst, Antoine den Beinamen Adler von Esponne zu geben, werbewirksam und voller Hochachtung. LAX skizziert die Handlung wie ein beobachtender Zeichner. Er legt Charakter in die Gesichter, Ausdruck in die Haltungen. Distanz gibt es nicht. Der Zeichner nimmt den Leser hautnah ins Geschehen, über die Schulter von Antoine blickend, an die Rennstrecke.
Die Linien sind dünn, die Figuren zerbrechlich, die Farben stützen den Blick in eine Vergangenheit, wie sie der Leser von alten Fotografien, vielleicht Gemälden her kennt. Aber auch der Strich erinnert an diese Zeit, passt hier besonders gut mit seiner zurückhaltenden Wildheit, der Schnelligkeit, auch der Freundlichkeit, mit der LAX seine Figuren findet.
Eine Geschichte, die mit großem Fingerspitzengefühl für den Zeitgeist und die vorkommenden Charakteren erzählt wird. Antoine Fario, der alles für seinen Traum bereit ist zu geben, wird sehr einfühlsam geschildert und (wie alles um ihn herum) gezeichnet. Für Freunde historischer und zutiefst menschlicher Szenarien eine sehr schöne und anrührende Geschichte. Bemerkenswert schön. 🙂
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Alexej Iwanowitsch liebt Polina. Polina aber, die Stieftochter des Generals, ist berechnend. In ihrer Welt ist Liebe eine Illusion, auch eine Währung, aber Liebe, so hat sie es gelernt, ist niemals einfach nur Liebe. So steht denn bei der Wahl des Verehrers, des Siegers um das Wettrennen mit dem Ziel Ehe, auch nicht nur Stattlichkeit im Vordergrund. Geld ist der Antrieb. Für den General, der bereits alles verpfändet hat, was er nur zu verpfänden hatte, ist Polina eines der letzten Tauschobjekte. Und die junge Frau selbst ist längst in dieser Welt aus Taktiererei und Gier gefangen. Die ehrliche Liebe, mit der sich Iwanowitsch zum Narren macht, ist für sie ein Störenfried, eine Ablenkung, eine Puppe, die unter den ungeschickten Händen eines Kindes ihren Kopf verliert.
Die russische Seele ist voller Schwermut und Weltschmerz. Sie giert nach Liebe und Leben und verliert sich in den Sehnsüchten, während das Leben an ihr vorüber zieht. Dies wäre ein Fazit der vorliegenden Geschichte nach der Vorlage eines Romans von Fjodor Dostojewski mit dem Titel Der Spieler. Alexej Iwanowitsch ist ein Hauslehrer, der aus Liebe zum Spieler wird, vielleicht die Sucht schon in sich trug, vielleicht angesteckt wurde. Am Ende, einem sehr bitteren Ende, mit einem boshaften, auch sezierenden Blick auf die menschliche Seele, nicht ausschließlich die russische, spielt all das keine Rolle mehr. Autor Stephane Miquel adaptiert den berühmten Roman Dostojewskis für das Medium Comic. Loic Godart vermittelt Zeitgeist und Atmosphäre mit einer Optik, die aus der Schule eine Otto Dix entstammen könnte.
Als Leser, der nach Identifikationsfiguren sucht, hat man es sehr schwer in dieser Geschichte. Vielleicht entdeckt man Ähnlichkeiten in diesen Figuren, zu sich selbst oder zu anderen. Es ist, möchte man behaupten, eine Gesellschaft voller Lebensüberdruss, in der das Risiko im Spiel gesucht wird. Das eigene Schicksal wird vom Verlauf der Kugel (auch im doppelten Sinne) abhängig gemacht. Alels wird auf eine Zahl, eine Farbe oder die Null gesetzt. Für jene Spieler steht am Ende der Verlust des Vermögens, des Selbstwerts, des Lebenssinns. Gewinner sind die Zuschauer am Rande, die sich nicht weiter einmischen, die ein bürgerliches Leben führen, das den Spielern zu schnöde ist.
Alle warten auf den Tod. Eigentlich auf den Tod einer Erbtante, denn ihr Vermögen soll der Retter in der Not sein. Doch die Tante stirbt nicht (zunächst), kommt vielmehr nachsehen, wo denn ihre Verwandten ihr Leben fristen und verfällt selbst der Spielsucht, die den Einstieg wie jede Sucht allzu leicht macht. Die Verfremdung in Form und Farbe, die Dank der Kunst von Loic Godart das Seelenleben der verschiedenen Charaktere gnadenlos enthüllt, lässt einen Alptraum entstehen. Die Menschen sind hier eher Zerrbilder, wie in einem Spiegelkabinett. Sie sind einfach, tragen ihren Charakter im Gesicht, in der Haltung, im irren Blick oder in ihrer Verlorenheit. Nicht viele gehen stark durchs Leben. Die meisten sind im dünnen Strich, der kargen, stets atmosphärischen Farbgebung der Schwäche und der Depression preisgegeben.
Vielleicht (ein sehr großes Vielleicht) möchte der Leser Mitleid mit den Figuren haben, doch sie sind alle zu große Egoisten, Egomanen, als dass einem dies gelingen könnte. Selbst der Hauslehrer Iwanowitsch, der das Treiben durchschaut, spielt seine Rolle weiter und weiter bis zum Untergang. Obwohl es sich um das Roulettespiel dreht, ist es eher russisches Roulette, bei dem der Hauptspieler ein seltsames Glück hat, am Ende noch auf den Beinen zu sein.
Das Schlimmste aber, oder das Wundersamste, ist dies: Bis heute kann ich mir mein Verhalten nicht erklären. So berichtet es Alexej Iwanowitsch gleich zu Beginn. Nach der Lektüre kann der Leser dieser Aussage nur folgen. Mag er seine Ideen haben, so bleibt es doch beim Kopfschütteln über diese Menschen, die wie Kaninchen angesichts von aufblendenden Scheinwerfern auf der Straße verharren und sich überfahren lassen. Neben all Lupenblicken auf die Charaktere ist es auch eine Schau einer Epoche, einer besonderen Schicht, gesellschaftlicher Aspekte und kultureller Eigenschaften, die von Godart in unbequemen Bildern gezeigt werden.
Eine hoch depressive Gesellschaft, gefangen in der eigens konstruierten Tragik: Stephane Miquel und Loic Godart transportieren den Roman Der Spieler von Dostojewski ins Medium Comic mit einer ungewöhnlich ernsthaften und enorm tragischen Handlung. Ambitioniert, dicht. 🙂
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Donnerstag, 21. Juni 2012
Ein Zeichner kommt ins Gespräch. Ein Fotograf, so scheint es, drückt nur auf den Auslöser. Ein Zeichner nähert sich seinen Bildern, den Menschen, die darauf sind, an. Emmanuel Lepage ging auf eine Reise ans gefühlte Ende der Welt. Seine Mitreisenden wundern sich über ihr Aussehen, wenn etwas ihrer Meinung nach nicht richtig ist. Die See bleibt unbeteiligt von dem Maler, der ihre Macht einzufangen gedenkt. Und die Seevögel, in deren Mitte sich der Maler setzt, um sie zu portraitieren, klauen ihm kurzerhand seinen Wasserbehälter. Ganz nebenbei berichtet Lepage von diesem Teil der Welt, der so wenig in der Aufmerksamkeit der Weltnachrichten vorkommt und der doch Geschichte und Dramen vorzuweisen hat. Am Ende stehen viele Bekanntschaften, auch Freunde und Erlebnisse, die sich Emmanuel Lepage so vorher bestimmt nicht ausgemalt hat.
Eine Reise zu einem Flecken auf diesem Planeten und doch so weit weg. Die Terres Australes Et Antarctiques Francaises, kurz TAAF, sind ein französischer Außenposten, ferne Südgebiete und kleinste Inseln in der Nähe der Antarktis. Die TAAF bestehen aus den Inseln Amsterdam, Saint Paul, dem Crozet-Archipel sowie dem Kerguelen-Archipel, auch die Insel der Trostlosigkeit genannt. Nur wenige Menschen verschlägt es freiwillig in diese von Gott verlassene Weltecke, die Seevögeln und Pinguinen zu gehören scheint.
So ist es denn auch ein ganz besonderer Menschenschlag, der in der Abgeschiedenheit Monate verbringt, Forschungen betreibt und sich mit der Kargheit dieser winzigen Flecken im Ozean begnügt. Nicht weniger besonders sind jene, die sich auf dem Versorgungsschiff Marion Dufresne auf die weite Reise begeben und auch enthusiastische Touristen und andere Mitstreiter an Bord nehmen. Einer dieser Touristen war Emmanuel Lepage, der mit seiner Bildtechnik und leisen wie auch eindringlichen Erzählweise schon mehrfach überzeugte (Oh, diese Mädchen!, Muchacho).
Die Reise an Bord der Marion Dufresne inspirierte ihn zu einem Reisebericht, der eine Mischung aus biografischen Eindrücken, vielen Menschen, einzigartigen Orten und einer faszinierenden Natur ist. Trotz modernster Technik spielt der Mensch in diesem Teil der Welt eine untergeordnete Rolle. Wer sich hierhin begibt, muss diesen Umstand akzeptieren. Die meisten gehen noch einen Schritt weiter und suchen gerade diese ganz besondere Situation, wo sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren können. Auf dieser Reise, auf der unnötige Ablenkungen ungeheuer selten sind, gelingen nicht nur für unseren Teil der westlichen Welt ungewöhnliche Eindrücke, auch gelingt es, sich in sich selbst zu versenken, auf einer der nahezu menschenleeren Inseln unbewusst einen meditativen Zustand zu erreichen.
Emmanuel Lepage zeichnet mit schnellem Bleistift und hält den Augenblick fest. Er malt mit Aquarell eine Reihe von Charakterdarstellungen beteiligter Besatzungsmitglieder und Mitreisender. Und er malt sehr fein und fast schon ehrfürchtig die Schönheit des Meeres, die Abgeschiedenheit der Tierwelt, Überreste von Zivilisation und Industrialisierung (Stichwort Walfang) und nähert sich in den 30 Reisetagen einer unglaublichen bildhaften Ruhe an. Zeichnen beim grellen Licht der Sonne, bei bewegter See, bei Wind und Regen, fast schon Sturm. Stets dokumentiert Lepage auch, wie etwas entsteht. Während andere fotografieren, ihre Studien betreiben, wird die gesamte Umgebung, ihn selbst eingeschlossen, zum Studienobjekt.
Bemerkenswert ist Lepages genaues Auge, das die Unterschiede seiner Mitmenschen erfasst. Kleine Szenen an Bord, Rückblicke auch in ferne Vergangenheit, hin zur Entdeckung der Inselwelt, Szenen auf den Inseln mit den Tieren, die arglos auf Menschen zugehen, komplettieren mitsamt ihren Beschreibungen das Szenario, in dem so wenig zu geschehen scheint und doch von so großer Intensität ist. Ein optischer Wechsel zwischen Bleistiftskizze, Tuschezeichnung und Aquarell (auch Mischgrafiken) bietet dem Auge abwechslungsreiche und spannende Anreize.
Ein Reisebericht, ja, ist es auch ein Comic? In jedem Fall eine Bestätigung der Kunst im Comic. Technisch sehr sorgfältig, liebevoll gestaltet, intensiv von der ersten bis zur letzten Seite, optisch beinahe lyrisch. Eine Reise abseits aller Hektik, auch mühevoll. Im Bereich Comic sicherlich ein Experiment, aber ein toll geglücktes. 🙂
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Sonntag, 03. Juni 2012
Ein Comic über Krebs? Geht das? Darf man das? Der Comic als Ausdrucksform zu diesem sehr ernsten, schweren Thema funktioniert aus dem Erfahrungsschatz der Autorin und Zeichnerin Marisa Acocella Marchetto sehr gut. Plötzlich ist da ein Schmerz im Arm, wird ein Knoten in der Brust ertastet. Stoßgebete helfen nichts. Der Knoten verschwindet nicht von selbst. Marisa Acocella Marchetto nimmt die Leserin, den Leser von Anfang an bei der Hand, beantwortet Fragen, die sie selbst hatte. Wie ist der Ablauf der Diagnose, der Behandlung, der Heilung? Eine emotionale Achterbahnfahrt durch Marchettos Leben, die mitnimmt, auch zwischendurch aufmuntert, sogar Mut macht. Denn wie Marchetto ihr Comic-Ich dem Tod ins Gesicht schnauzen lässt: Ich tret dir in den Arsch …
Ein ganz normales Leben bis zur Diagnose. Plötzlich und auch langsam nehmen die Veränderungen immer mehr Platz ein. Wirre und klare Gedanken wechseln einander ab. Die junge Frau dieser wahren Geschichte gerät vom Leben einer Frau auf der Suche nach einem Platz, Jobs, einer Partnerschaft, Freundschaften plötzlich in eine Enge, die aus der Diagnose heraus entsteht. Gerade noch dachte sie, sie habe alles im Griff. Dann verändert sie sich, wird ängstlicher, forscht nach, holt weitere Ärztemeinungen ein. Was kann getan werden? Die Freunde wissen etwas. Sie wissen viel und nichts. Sie kennen jemanden mit Erfahrung. Die Mutter greift wieder in das Leben ein, nervt mit Ratschlägen und wird doch dankbar gebraucht.
Brustkrebs. Die Diagnose bedeutet nicht gleich das Ende des Lebens. Es gibt Chancen, auch das Leben will weitergelebt werden und es will auch, dass darum gekämpft wird. Marisa Acocella Marchetto lässt die Tücken in der Behandlung, im eigenen Umfeld außen vor und vergisst auch nicht das mangelhafte Versicherungssystem in den USA, in dem eine Krankenversicherung für den Einzelnen beileibe keine Selbstverständlichkeit ist. Marchetto beschreibt auch eine Frau voller Fragen, die nur natürlich sind in dieser Situation. Sie beschreibt aber auch ein Umfeld voller kurioser, wie auch naheliegender Vermutungen.
Woher kommt der Krebs? Liegt es an den ganzen Hühnern, die man sein Leben lang isst? Samt der ganzen Hormone, die man mit zu sich nimmt? Was ist mit der Hormonbelastung durch die Pille? Wie schädlich ist Mammographie? Chemotherapien und Bestrahlungen sollen den Krebs bekämpfen, schädigen aber auch den Rest des Körpers. Was sich hier durchweg ernst, auch düster liest, wird von Marisa Acocella Marchetto zeitweilig auch mit Humor berichtet. Galgenhumor, schwarzer Humor, auch solcher, den der Leser vielleicht eher in einer Sitcom vermuten würde und leichter, sehr menschlicher Humor, mit dem nicht nur erzählt wird, die Erzählerin auch ein Stück Sicherheit für sich selbst in ihrer Situation schafft.
Leichte Grafik. Dem sehr ernsten Thema setzt Marisa Acocella Marchetto leicht skizzierte, auch bonbonbunte Bilder gegenüber, deren Seitenaufbau stets variiert. Marchetto arbeitet manchmal sehr klein, stilisiert, abstrakt, in gewissem Sinne in Popart. Sie zeichnet das Leben, die Träume und Alpträume, dringt mit ihren Zeichnungen in Gedanken vor, entblößt die Bedeutungen hinter Gesprächen und entblättert Wunschvorstellungen. Da sind die Linien etwas krumm, krakelig, locker flockig dahin gezeichnet. Zeitweilig fühlte ich mich an die alte Zeichentrickserie Es war einmal der Mensch erinnert. Nicht ganz so rund sind Marchettos Figuren, aber sicherlich auch mit einer gewissen Knuffigkeit, die das Thema mit dem gleichen Humor der Erzählung etwas enternsten.
Marisa Acocella Marchetto weiß, wovon sie spricht und zeichnet. Sie selbst stellte sich in den Mittelpunkt des Comics und all den Erlebnissen und zeichnete ihren Krankheitsverlauf auf. Sie konnte den Kampf gegen den Krebs gewinnen (keine überraschende Neuigkeit, da sie schließlich diesen Comic über ihre Erfahrungen gemacht) und gibt so ihre Erfahrungen weiter. Außerdem fließt ein Teil der Einnahmen, die über den Verkauf von Cancer Woman zustande kommen, in einen Fond, der Mammographien zur Früherkennung von Brustkrebs finanziert.
Nah dran am Leben, warmherzig beschrieben, heiter, mitunter eindringlich im Cartoonstil gezeichnet, ohne dem Thema den nötigen Ernst zu entziehen. Sehr informativ, ohne plakativ oder respektlos zu sein, kein Wunder, da die Autorin über sich selbst schreibt, nichts beschönigt und anscheinend wenig verschweigt. Sehr gut. 🙂
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Montag, 14. November 2011
Falls ich irgendwas gewonnen haben sollte, ist es in der Post verloren gegangen. Meint Art Spiegelman über diesen Krieg, den die USA gewonnen haben. Wie war das denn mit den Anschlägen des 11. September 2001? Man glaubte, die Welt werde untergehen. Man glaubte zu wissen, wer die Feinde waren. Nachdem der erste Schock verhallte, war man nicht mehr so sicher. Viele machten sich wie Spiegelman Gedanken über den Anschlag. Wer steckte dahinter? Man wühlte in Details. Man wurde mit Details erschlagen. Radio, Fernsehen, Internet. Fakten, Fakten, Fakten, Mutmaßungen. Paranoia ging dem Krieg voraus. Fast ging darüber die Verzweiflung über den Verlust tausender Menschen im Blick der Öffentlichkeit unter. Aber eben nur fast.
Art Spiegelman mag den ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, George W. Bush, nicht. Er nennt ihn in seiner Veröffentlichung ganz offen einen Verlierer. Er macht auch keinen Hehl daraus, was er von den Wahlen hält, die diesen Präsidenten ins Amt brachten. Leider war eben jener Präsident der maßgebliche Militärchef, unter dessen Regierung der Krieg gegen den Terror weltweit und öffentlich so richtig begann. Der 11. September 2001 wandelte das Gesicht einer Stadt, die wohl wie kaum eine andere das Symbol für Tatendrang, Fortschritt, den amerikanischen Traum ist. Folgerichtig heißt die Spiegelman-Veröffentlichung Im Schatten keiner Türme, denn die Zwillingstürme des World Trade Centers, die diesem Symbol die Krone aufsetzten, brachen durch die terroristischen Anschläge an eben jenem Tag in sich zusammen. Tausende Menschen kamen dabei ums Leben.
Nicht ein Bild ist es, das Spiegelman vermittelt, doch die Summe der Bilder, der Blick auf ein Amerika, das so ganz anders ist als der amerikanische Traum, hat wenig gemein mit dem von Gott unterstützten Patriotismus, den die amerikanische Regierung in den Krisentagen und lange danach gerne vermittelte. Zuallererst, am 10. September 2001, schlafen die Amerikaner noch vor dem Fernseher. Am 11. September sträuben sich ihnen kurz die Haare, danach schlafen sie schon wieder fest. Art Spiegelman (und man muss kein besonderer Feingeist sein, um das zu erkennen) liebt sein Land, aber der (vornehmlich) kritiklose Umgang mit Geschehnissen, ein gewisser lethargischer Absturz, wird von ihm bitter kritisiert.
Unterschwellig rührt Spiegelman auch an dem Eindruck, als habe Amerika genau auf diesen Moment gewartet. Andererseits markiert der Anschlag auch das Ende einer Art Unschuld, auf beiden Seiten (obwohl zu dem Zeitpunkt bereits genug Schlachten geschlagen worden waren). Doch für den Big Apple war es wie ein Kopfschuss, der noch Zeit zum Nachdenken ließ. Und Spiegelman denkt nach. Er zieht Vergleiche. Er fürchtet sich, spricht sich auch einen gewissen Mut zu und entdeckt auch seine selten benutzte patriotische Seite. Auf zehn Seiten entwickelt er Bildcollagen, kurze Erzählungen und Feststellungen, die seine Gedanken zeigen. Immer wieder brechen hierbei die glühenden Stahlkonstruktionen der Türme durch, von denen am Ende die Imitation eines furchtbaren Kunstwerkes am Ground Zero übrig blieb.
Die Welt geht unter! Oder doch nicht? In einem melancholischen Cartoonstil, in dem er auch alte Bekannte seiner mit einem Pulitzer-Preis belohnten Veröffentlichung Maus heranzieht, wird der Betrachter manchmal direkt angesprochen, manchmal wird er zum Beobachter gemacht. Die Zeichnungen tendieren zeitweilig zur Karikatur, manchmal greifen sie einen alten, sehr alten Cartoonstil des letzten Jahrhunderts auf, manchmal vereinfacht er die Darstellung noch weiter. Das ist einprägsam und künstlerisch.
New York! New York! Der 11. September 2001 richtete einen neuen Blick auf New York, nicht den ersten. So stellt diese Veröffentlichung neben die zehn Seiten Spiegelmans weitere, die sich mit dem Mythos dieser Millionenstadt und natürlich Amerika beschäftigen. Zwischen 1902 und 1921 erschienen die ausgewählten Tageszeitungsstrips, die merkwürdigerweise Sichtweisen vermitteln, die nach teilweise über einhundert Jahren noch nicht völlig verschwunden sind, dafür aber stellenweise (z.B. Little Nemo) ungeheuer schön angelegt sind.
2004, bei Entstehung dieses Buches, dachte Art Spiegelman noch, die Welt gehe unter. Er denkt es noch weiterhin, musste aber feststellen, dass es viel langsamer dauert. Er bezeichnet sich selbst nicht als politischen Karikaturisten, da er glaubt, dafür zu langsam zu sein. Andererseits, wie er selbst mit seiner Einschätzung der Weltuntergangsgeschwindigkeit anmerkt, manchmal ist die Geschwindigkeit bei weitem nicht so wichtig, sind viele politische Anmerkungen lange Zeit nicht verkehrt. Ein interessanter Band, von einem Spiegelman, der eindeutig Stellung bezieht. Das ist weniger Unterhaltung als vielmehr schon ein zeitgeschichtliches Dokument. Ganz besonders, da Spiegelman hiermit in den USA ziemlich aneckte. 🙂
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